Im März 2023 finden die nächsten Gemeindewahlen statt. In einer Serie stellt «Vielfalt in der Politik» die Gemeinderatsarbeit in den einzelnen Gemeinden vor. Wir haben alle Gemeinderätinnen gebeten, ein Projekt aus ihrer Legislatur genauer vorzustellen.
In Ruggell führten wir das Gespräch mit Vorsteherin Maria Kaiser-Eberle und den Gemeinderätinnen Melanie Egloff-Büchel, Cornelia Hanselmann und Sibylle Walt. Beim ausgewählten Projekt handelt es sich um die abgeschlossene Strassenbauetappe des Jahres 2021.
Interview mit der Vorsteherin und den Gemeinderätinnen der Gemeinde Ruggell
Ihr stellt uns heute ein Strassenverkehrsprojekt vor. Um was geht es dabei?
Maria Kaiser-Eberle: Wir hatten 2021 eine grosse Baustelle an der Landstrasse, Poststrasse und Nellengasse. Die Sanierung der Landstrasse war ein Landesprojekt, wurde aber mit der Gemeinde und vielen anderen Akteuren wie z.B. dem Abwasserzweckverband, den Liechtensteinischen Kraftwerken und der Wasserversorgung Liechtensteiner Unterland (WLU) zusammen geplant.
Wir fragten uns, ob die Landstrasse nicht anders gestaltet werden könnte. Wenn ich die Landstrasse anschaue, habe ich manchmal das Gefühl, es handle sich um eine Autobahn oder eine Flugbahn. Hier konnten wir im Gespräch zwischen Gemeinde und Amt für Bau und Infrastruktur einen guten Konsens finden. Die Fahrbahn wurde ein bisschen schmäler, dafür haben Fahrradfahrer und Fussgänger mehr Platz erhalten. Wir sind eine Fahrradgemeinde, bei uns gehen viele Leute mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zum Einkaufen, auch die Kinder sind mit dem Rad oder zu Fuss unterwegs. Ein weiteres Thema waren die Abwasser- und Frischwasserleitungen, die streckenweise direkt nebeneinander verliefen. Schon vor Jahren hat die Wasserversorgung Unterland gesagt, man müsse diese Leitungen trennen. Nachdem das Land die Verlegung der Abwasserleitung mit einer Verordnung angeordnet hatte – das war eigentlich ein Glücksfall – ergab sich die Möglichkeit, diese unter die Landstrasse zu verlegen.
Als Energiestadt Gold sind wir daran interessiert, in Ruggell erneuerbare Energien zu fördern und zu schauen, was wir als Gemeinde beitragen können. Diesbezüglich trat die Liechtensteiner Gasversorgung mit uns in den Dialog, um eine Fernwärmeleitung zu erstellen. Aber mit was? Zuerst wollten wir das Abwasser zum Heizen nutzen. Es hat sich aber herausgestellt, dass dies nicht rentiert, deshalb haben wir nun Fernwärme, die dem Grundwasser entzogen wird. Das musste sehr schnell entschieden werden und konnte beim Bau gerade noch rechtzeitig mitberücksichtigt werden. Als Folge der Verlegung der Fernwärmeleitung zur Hauptstation in der Primarschule, wurde auch die Poststrasse als Ganzes saniert.
Ebenfalls war die Bushaltestelle vor dem Rathaus nicht ideal, da die Fahrgäste in Richtung Strasse aussteigen mussten. Bereits bei der Erarbeitung des Verkehrsrichtplans haben wir diskutiert, wo man sinnvollerweise einen Busknoten errichten könnte. Es gab zwei Möglichkeiten zur Auswahl, und als die Landstrasse sich im Bau befand, merkten wir, dass wir uns schnell entscheiden müssen. Wenn man im Nachhinein etwas ändern möchte, kommt es unglaublich teuer. Neu gibt es nun an der Landstrasse eine Haltestelle und eine an der Nellengasse. Dadurch, dass wir verschiedene Projekte miteinander koordiniert haben, konnten wir kostengünstiger arbeiten.
Warum habt ihr euch entschieden, genau dieses Projekt vorzustellen?
Maria Kaiser-Eberle: Es hat uns das ganze letzte Jahr beschäftigt. Und es hat uns schon davor beschäftigt. Solch grosse Projekte werden nicht von heute auf morgen realisiert. Das sind langwierige Sachen. Ich weiss, dass mein Vor-Vorgänger Jakob Büchel schon gesagt hat, man müsse diese Landstrasse endlich sanieren und danach auch wieder Ernst Büchel. Nun sind wir froh, dass es läuft.
Uns interessieren auch die Abläufe im Gemeinderat. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Gemeinderat und Gemeindeverwaltung? Welche Rolle spielen die Kommissionen?
Cornelia Hanselmann: Sehr häufig wird es zuerst in der Kommission besprochen, bevor es zu uns in den Gemeinderat kommt. Oder andersherum, wir schicken etwas wieder zurück an die Kommission, wenn etwas noch nicht passt. Bei diesem konkreten Projekt waren vor allem die Baukommission und die Orts- und Planungskommission damit befasst.
Sibylle Walt: Wir erhalten vor der Gemeinderatssitzung eine Traktandenliste mit vielen Informationen und Bildern zur Vorbereitung. Auch noch zu erwähnen sind die Fraktionssitzungen, die wir immer vor der Gemeinderatssitzung haben. Dort können wir uns dazu austauschen. Natürlich können wir jederzeit bei der Vorsteherin oder bei anderen Fachpersonen Rückfragen stellen, bevor wir mit der eigenen Meinung in den Gemeinderat gehen.
In den Gemeinderatssitzungen ist also noch nicht alles bis ins letzte Detail vorgespurt? Ihr könnt offen diskutieren und Änderungsvorschläge einbringen?
Maria Kaiser-Eberle: Es ist schon so, manchmal müssen Entscheidungen einfach gefällt werden. Unser Gemeinderat ist auch schnell bei gewissen Entscheidungen, weil das Vertrauen ineinander vorhanden ist. Aber weil wir diese Kultur haben, dass wir häufig etwas andiskutieren, weitere Fakten einholen und uns noch einmal Gedanken machen wollen, verschieben wir manche Entscheidungen auf einen späteren Zeitpunkt.
Melanie Egloff-Büchel: Ja, es ist unsere Aufgaben mitzudenken und unter Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben Änderungswünsche einzubringen. Auch von der Bevölkerung kommen manchmal Inputs, es fehle ein Fussgängerstreifen beispielsweise. Cornelia Hanselmann: Melanie ist schon länger dabei, es gibt auch andere Gemeinderäte, die schon länger dabei sind. Auf diese wertvolle Erfahrung kann man zurückgreifen. Bei gewissen Themen weiss man, wenn diese Personen etwas sagen, dann hört man noch intensiver hin.
Ist es ein Vorteil, wenn in einem Gemeinderat Personen mit unterschiedlichem beruflichen und persönlichen Hintergrund vertreten sind?
Sibylle Walt: Auf jeden Fall. Jung, alt, Mann, Frau, … wenn man etwas mit einer anderen Sichtweise betrachtet, dann kommen Ideen, die man sonst gar nicht gehabt hätte. Und plötzlich läuft es. Diese Vielfalt ist wichtig. Es müssen auch nicht nur Spezialisten sein, Laien haben häufig ebenfalls gute Ideen.
Cornelia Hanselmann: Ich möchte zum Thema Verkehr noch etwas ergänzen. Vielleicht schreckt das Thema Verkehr oder andere komplexe Themen die einen oder anderen von einer Kandidatur ab. Man muss ganz sicher keine Angst davor haben. Wir bekommen Pläne vorgelegt, haben Fachpersonen zur Hand, bei Tief- und Hochbau können wir jederzeit nachfragen und erhalten eine Erklärung. Bis ins letzte Detail muss man es nicht verstehen, dafür haben wir die Spezialisten. Im Gemeinderat hat man auch Zeit, sich einzuarbeiten.
Melanie Egloff-Büchel: Zu Beginn meiner Amtszeit war ich 30 Jahre alt. Ich genoss sozusagen den «Welpenschutz». Dadurch schreckte ich nicht davor zurück, alle mir wichtigen Fragen in den Rat einzubringen. Diese wurden stets aufgenommen und diskutiert.
Maria Kaiser-Eberle: Das ist ganz wichtig. Es braucht den offenen Dialog. Auch mir geht es häufig so, dass ich im Verlaufe des Gesprächs, wenn ich die verschiedenen Aspekte abwäge, meine Meinung noch einmal ändere. Wir haben es zum Glück geschafft, dass wir eine gute Kommunikationskultur pflegen, bei der alle ernst genommen werden. So hat die Diskussion einen Mehrwert. Ich finde immer, so wird etwas besser.
Der Strassenbau kostet viel Geld, es geht zum Teil um Millionenbeträge. Habt ihr deswegen manchmal schlaflose Nächte?
Melanie Egloff-Büchel: Am Anfang war ich erschrocken. Als ich (vor elf Jahren) in den Gemeinderat gekommen bin, musste ein kleiner Nebenweg saniert werden. Das war mit riesigen Kosten verbunden. Da dachte ich überspitzt gesagt: «Das gibt’s doch gar nicht, ein bisschen Loch graben, Kies rein und wieder asphaltieren.» Dass Tiefbauten genauso teuer sein können wie Hochbauten, war etwas vom Ersten, das ich gelernt habe. Aber wenn man die Expertenmeinungen hört, sich mit anderen Gemeinden austauscht, bekommt man ein Gefühl für diese Summen. Ausserdem gibt es gesetzliche Vorgaben wie z.B. für Ausschreibungen. Das hilft und gibt einen Rahmen.
Für mich war das eine Weiterbildung. Was kostet das Leben für eine Gemeinde? Was kostet Hochwasserschutz, ein Regenklärbecken? Es ist spannend zu sehen, wie so etwas auch technisch funktioniert. Diese Vielfalt von Themen – über Frühförderung, Schneeräumung und Wasserversorgung bis hin zu Wohnen und Leben im Alter ist wirklich sehr interessant.
Wir möchten gerne mehr über eure persönliche Erfahrung im Gemeinderat wissen. Wie beurteilt ihr eure Zeit in der Politik?
Cornelia Hanselmann: Ich gehöre zu denen, die am Anfang sagten «mein Gott, das verstehe ich doch alles nicht». Aber ich habe es nie bereut und finde es sehr spannend. Es wertet mein Leben auf. Ich habe mit vielem zu tun, mit dem ich sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Es ist nicht nur der Gemeinderat, sondern sehr viel umfassender. Als Gemeinderätin oder als Kommissionsvorsitzende wird man häufig zu Veranstaltungen eingeladen, zu ganz unterschiedlichen Themen, die nicht nur in Ruggell, sondern im ganzen Land relevant sind. Man kann nur gewinnen. Natürlich gibt es auch Themen, die schwierig sind, an denen man «zu knabbern» hat. Aber das hat man im sonstigen Leben auch. Ich ziehe bis jetzt eine sehr positive Bilanz. Sibylle Walt: Auch ich ziehe eine positive Bilanz. Als man mich das erste Mal gefragt hat, habe ich gesagt, «nein, ihr müsst gar nicht kommen». Für mich war das kein Thema. Beim zweiten Mal habe ich dann länger überlegt. Über die Chance, die man hat, hineinzuschauen, mitzugestalten, mitzureden und in der Gemeinde etwas zu bewirken. Dann habe ich mich entschieden, es zu probieren. Jetzt muss ich ebenfalls sagen, man sieht in so viele Sachen hinein, über die man sonst nichts erfahren würde. Es hat mir sehr viel gebracht und war sehr interessant. Ich möchte die Zeit nicht missen. Was wichtig ist, dass man zu sich selbst steht und seine eigene Meinung vertritt. Das möchte ich gerne neuen Kandidatinnen und Kandidaten mitgeben: Man darf auch dagegen sein, wenn man hinter etwas nicht stehen kann. Man muss nicht zu allem «ja und amen» sagen. Es braucht die unterschiedlichen Meinungen. Melanie Egloff-Büchel: Als ich mich das erste Mal aufstellen liess, sind Kollegen gekommen und haben gemeint: «Bist du mutig, ich würde mich das nie getrauen.». Ich habe mir einen Plan zurechtgelegt, was ich mache, wenn ich nicht gewählt werde. Ich habe es nie bereut. Ich habe auch die Wahlkampfzeit als sehr gut empfunden, streng, aber man lernt sehr viel. Die Wahlkampfzeit wie auch die Gemeinderatszeit empfinde ich als sehr persönlichkeitsbildend.
Eine Frage an Maria Kaiser-Eberle mit ihrer Erfahrung als Gemeinderätin und als Vorsteherin. Wie beurteilst du die politische Arbeit auf Gemeindeebene?
Maria Kaiser-Eberle: Auch ich habe in meiner Zeit als Gemeinderätin und Vizevorsteherin viel gelernt und war sehr gerne im Gemeinderat. Bei der Wahl zur Vorsteherin habe ich gemerkt, das ist nochmals eine ganz andere Dimension. Als ich gewählt wurde, hatte ich am meisten Respekt davor, wie ich es schaffe, gut mit den Leuten in der Verwaltung zu arbeiten und auch im Gemeinderat eine gemeinsame Grundlage zu schaffen. Offen miteinander zu reden, zu diskutieren und seine eigene Meinung haben zu dürfen, das war mir immer wichtig. Einen Fraktionszwang habe ich in der ganzen Zeit nicht erlebt.
Als Vorsteherin bin ich zeitlich sehr stark eingebunden, auch abends und an den Wochenenden. Mein Vorteil ist, dass meine Kinder schon erwachsen sind. Ich denke, man kann das Vorsteheramt schon auch mit kleinen Kindern ausüben, aber es ist nicht einfach, weil man viel von Zuhause weg ist. Man investiert viel, aber es kommt auch viel zurück. Insbesondere der Kontakt mit den unterschiedlichen Leuten in der Verwaltung, im Gemeinderat und in der Bevölkerung gibt einem sehr viel.
Mit welchen Adjektiven könnt ihr den aktuellen Gemeinderat in Ruggell beschreiben?
Schnell, speditiv, diskussionsfreudig, interessiert, ergänzend, wertschätzend, vielfältig, flexibel, sachpolitisch, bodenständig.
«Vielfalt in der Politik» bedankt sich herzlich für das Gespräch!
1. April 2022
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Interview: Andrea Hoch
Fotos: Ingrid Delacher
Video: Julia Hoch