Im März 2023 finden die nächsten Gemeindewahlen statt. In einer Serie stellt «Vielfalt in der Politik» die Gemeinderatsarbeit in den einzelnen Gemeinden vor. Wir haben alle Gemeinderätinnen gebeten, ein Projekt aus ihrer Legislatur genauer vorzustellen.
In Gamprin-Bendern führten wir das Gespräch mit den Gemeinderätinnen Dagmar Gadow, Barbara Kind und Nora Meier. Beim ausgewählten Projekt handelt es sich um den Kompass 2032, einen Wegweiser zur Gemeindeentwicklung.
Interview mit den Gemeinderätinnen der Gemeinde Gamprin-Bendern
Erzählt bitte, welches Projekt ihr vorstellen möchtet.
Nora Meier: Wir haben den Kompass 2032 ausgewählt, weil wir fanden, er passe gut zu «Vielfalt in der Politik». Er ist ein Wegweiser für die Gemeindeentwicklung, in der die ganze Vielfalt an Themen, die in der Gemeinde und im Gemeinderat auftreten, enthalten sind. Diese Vielfalt wollten wir zeigen.
Bei der Einführung des Energiestadt-Labels wurde ein Leitbild vorausgesetzt. Der damalige Gemeinderat wollte kein Pseudo-Leitbild, sondern startete die Gemeindeentwicklung «Kompass 2022». Nun läuft der neue «Kompass 2032». Darin sind alle Leitgedanken, Ziele und Aktionsfelder definiert, die sich der Gemeinderat, die Gemeindeverwaltung und die ganze Gemeinde für diese Zeit gesetzt haben.
Barbara Kind: Für mich ist es die erste Legislaturperiode, in der ich im Gemeinderat bin. Als wir im Jahr 2019 anfingen, lief der alte Kompass aus. Es war somit unsere erste Arbeit, uns an die Erarbeitung des neuen Kompasses zu machen. Da es das zentrale Grundlagenpapier für die Gemeinderatsarbeit ist, war es spannend, die ganze Vielfalt an Themen kennenzulernen. Wir mussten uns gleich tief hineindenken.
Wie wurde dieser Kompass erarbeitet?
Barbara Kind: Wir mussten etwa zwei Jahre davor anfangen, damit wir für 2022 bereit waren. Zunächst führten wir im Gemeinderat mehrere Workshops durch. Im folgenden «Dorfcafé» war die Bevölkerung eingeladen, ihre Ideen und Visionen einzubringen und Bedürfnisse zu äussern. Damit sind wir wieder zurück in den Gemeinderat und haben an der Strategie weitergearbeitet. Vor der Finalisierung ging es noch einmal an die Bevölkerung. Im Dezember 2021 wurde er an alle Haushalte verschickt.
Dagmar Gadow: Als wir im Jahr 2012 damit gestartet haben, wollten wir nicht nur ein Leitbild machen – also keinen Zettel – sondern etwas Lebendiges. Es sollte kein Papiertiger sein. Der Prozess war am Anfang schwierig. Wir befanden uns auf der grünen Wiese. Jetzt ist es schön zu sehen, dass es den Kompass noch gibt und dass er wirklich gelebt wird. Er bildet eine sehr gute Basis, weil alle elementaren Dinge, die eine Gemeinde ausmachen, darin enthalten sind.
Barbara Kind: Vor allem wir, der Gemeinderat und die Gemeindeverwaltung arbeiten damit. Die Bevölkerung hat ihn vermutlich nicht immer zur Hand. Aber er kommt schlussendlich jedem Einwohner und jeder Einwohnerin zugute.
Nora Meier: Aber der Kompass ist sicher allen ein Begriff. Die Bewohner wissen, um was es geht, wenn man vom Kompass spricht. Sie waren auch beteiligt.
Der Kompass läuft von 2022 bis 2032. Wie wird er umgesetzt?
Barbara Kind: Der Kompass ist nicht nur ein Papier mit Visionen und Zielen, sondern auch ein Arbeitsinstrument. Alle Bereiche sind detailliert ausgearbeitet, und es wird fortlaufend festgehalten, was erreicht wurde und was nicht. So können wir die Fortschritte laufend nachverfolgen. Was ich besonders wichtig finde ist, dass er auf zehn Jahre ausgerichtet ist. So hat man einen Überblick über das grosse Ganze und verliert sich nicht in kurzfristigen Aktionen.
Dagmar Gadow: Auch im Gemeinderat orientieren wir uns an den Ideen und Leitsätzen am Kompass. Wir nehmen Themen auf, weil sie im Kompass enthalten sind und wir denken, hier sollten wir einen Punkt setzen. Wir können unsere Entscheidungen auch besser begründen.
Nora Meier: Vieles passiert auch in den Kommissionen. Zum Beispiel im Bereich «Leben und Wohnen im Alter». Vor Kurzem haben die drei Gemeinden Gamprin-Bendern, Ruggell und Schellenberg gemeinsam eine Seniorenkoordinatorin angestellt. Das ist aus dem Kompass entstanden. Ein anderes Beispiel ist die frühe Förderung bei Kindern im Vorschulalter, ein Vorstoss des Gemeindeschulrats.
Barbara Kind: Dass wir auch Kooperationen mit anderen Gemeinden eingehen, ist ebenfalls im Kompass erwähnt. Es ist sinnvoller, Zeit und Ressourcen zu schonen und zusammenzuarbeiten, als dass alle mit den wenigen Leuten das Gleiche parallel machen. Wenn man sich zusammenschliesst, dann ergibt es etwas «Rechtes».
Nora Meier: Bei den Kooperationen sind wir im Unterland ohnehin Vorreiter. Beim Forst arbeiten wir mit Ruggell und Schellenberg zusammen. Die Waldbearbeitung erfolgt gemeinsam. Weitere Beispiele sind wie erwähnt die Seniorenkoordination, die Jungbürgerfeier, das Hallenbad in Eschen als Kooperation aller Unterländer Gemeinden, die Wasserversorgung Unterland (WLU) oder der Abwasserzweckverband der Gemeinden Liechtensteins (AZV).
Die Kooperation mit anderen Gemeinden ist für euch ein wichtiges Prinzip. Macht ihr das aus finanziellen Überlegungen heraus?
Barbara Kind: Soweit ich mich erinnern kann, haben wir bis jetzt nur gute Erfahrungen damit gemacht. Zumindest sind die bisherigen Kooperationen so gut verlaufen, dass wir sie nicht ändern möchten. Man schaut eher, ob noch in weiteren Bereichen Kooperationen möglich sind.
Die Finanzen sind sicher ein Argument. Anstatt drei Förster oder drei «Forwarder» braucht es nur einen. Diese Maschinen müssen intensiv genutzt werden, damit sie rentieren. So haben die Zuständigen auch ein grosses Gebiet, in dem sie etwas umsetzen können. Sie können viel ganzheitlicher denken, als wenn sie nur kleine Fleckchen bewirtschaften. Ich denke, das hat sich sehr bewährt. Vermutlich kommt es schon auch aus der Not heraus, weil Gamprin, Schellenberg und Ruggell kleinere Gemeinden sind.
Dagmar Gadow: Die Zusammenarbeit mit Schellenberg und Ruggell ist wirklich schön. Es gab aber auch Projekte, die sich nicht durchsetzen konnten. Die Umweltkommissionen Schellenberg, Ruggell und Gamprin wollten ein Landschaftsschutzgebiet ins Leben rufen. Leider konnte das Schutzgebiet nicht umgesetzt werden – wir bleiben dran.
Wie ist eure generelle Erfahrung im Gemeinderat?
Barbara Kind: Ich finde es spannend, dass die Arbeit ganz unterschiedliche Themen beinhaltet. Wie es im Kompass geschrieben steht. Wenn du im Gemeinderat bist, siehst du viel tiefer in die verschiedenen Themen hinein. Man lernt dabei viel Neues. Wenn man Interesse hat zum Mitgestalten, kann man auch etwas anreissen. Die Gemeinde ist sehr offen, wenn man etwas Neues einbringt und umsetzen will.
Dagmar Gadow: Man kann schon neue Ideen einbringen. Aber man kommt nicht mit allem durch.
Barbara Kind: Grundsätzlich sind es aber kurze Wege. Wir können direkt mit den Leuten sprechen, ohne viel Bürokratie dahinter. Wir erhalten auch schnelle Antworten. Das finde ich super. Spannend finde ich auch, mir etwas aus unterschiedlichen Perspektiven zu überlegen. Wenn man einen Entscheid fällt, versucht man, diesen aus unterschiedlichen Blickwinkeln anzuschauen. Es gibt immer andere Sichtweisen, auf die man selbst gar nicht gekommen wäre.
Nora Meier: Ich schätze es sehr, dass wir zu fast 100 Prozent Sachpolitik betreiben. Wir machen keine Parteipolitik. Schön finde ich, wenn man in der Gemeinde sieht, welche Ergebnisse aus diesen Beschlüssen heraus entstehen, wie zum Beispiel die Neugestaltung des Friedhofs, der neue Fussweg Stelzagass und die neue Treppe Fehragass. Das macht sehr viel Freude.
Barbara Kind: Die Arbeit im Gemeinderat ist sehr konkret. Wie Nora sagt, du siehst sofort, wie es umgesetzt wird. Der Kompass ist das theoretische Werkzeug dafür.
Nora Meier: Manchmal dauert es lange. Es gibt Themen, an denen über Generationen gearbeitet wird. Mir kommt die Zonenplanänderung im Gebiet Luterschala in den Sinn. Ein grosses, wunderschönes Gebiet in Bendern oberhalb der Kirche. Wir haben seit Jahrzehnten darauf gewartet, dass dieses Gebiet umzoniert wird. Jetzt haben wir es endlich geschafft. Man muss hartnäckig bleiben, immer wieder nachfragen und die Beteiligten mit ins Boot holen.
Dagmar Gadow: Im Gemeinderat muss man eine eigene Meinung haben, auf das Bauchgefühl hören und Rückgrat zeigen. Manchmal sitzt man mit seiner Meinung allein im Raum. Dann schläft man am Abend nicht so gut ein. Es ist nicht alles «himmelblau und rosarot».
Du sagst, es gibt auch schlaflose Nächte – Woran liegt das?
Dagmar Gadow: Man fragt sich: Liege ich richtig oder liege ich falsch? Warum denke nur ich so? Es ist komisch, wenn man bei zehn Leuten im Raum als Einzige anders denkt. Es braucht dann schon Mut. In einer Demokratie muss man das akzeptieren, man kann nicht alle Wünsche verwirklichen. Manchmal braucht es auch Zeit, damit etwas reifen kann.
Nora Meier: Es gibt Herausforderungen, die nicht alltäglich sind. Für die Gemeinderatssitzung kann man sich einlesen und vorbereiten. Man hört zu und bildet sich eine Meinung. Das ist für mich alles kein Problem. Aber in der Öffentlichkeit zu stehen, etwas vor Publikum zu präsentieren, das ist eine Herausforderung. Vor allem den Wahlkampf mit den zahlreichen Medienterminen fand ich anstrengend.
Barbara Kind: Ich finde auch, es braucht etwas Mut. Man wird häufig auf die Arbeit angesprochen und muss Rechenschaft ablegen. Wenn man der Typ ist, der einfach gerne Sachpolitik machen möchte, dann ist es manchmal schwierig. Ich glaube, es gäbe viele Leute, die sich für den Gemeinderat interessieren und die Arbeit gerne machen würden, die aber nicht in der Öffentlichkeit stehen möchten. Die Medienarbeit liegt mir auch nicht, aber vermutlich gehört das einfach dazu.
Was gebt ihr den Männern und Frauen, die sich jetzt eine Kandidatur überlegen, mit auf den Weg?
Dagmar Gadow: Es macht nichts, wenn man zu Beginn kein Profi ist. Man kann sich einarbeiten. Als ich das Interview mit den Gemeinderätinnen in Ruggell gelesen habe, musste ich schmunzeln. Mir ist es genauso gegangen, als ich über die erste Strasse abstimmen musste. Einmal haben wir ausgerechnet, was ein Meter Strasse kostet. Einfach weil es so wahnsinnig teuer ist. Bei den Bodenkäufen ist es genau gleich. Du lernst aber, mit diesen grossen Summen umzugehen. Du bist dir im Klaren über die Verantwortung.
Nora Meier: Wie bei allem gibt es positive und negative Aspekte. Bei mir überwiegt das Positive. Ich kann es allen anraten. Wenn sie die Möglichkeit erhalten, sich aufstellen zu lassen, sollten sie das unbedingt machen. Ich empfinde es als grossartige Erfahrung. Wenn man noch gewählt wird, umso besser. Man kann sich einbringen und sieht die Fortschritte.
Barbara Kind: Ein Grundinteresse muss da sein. An der Gemeinde, an der Bevölkerung, am Menschen. Es geht darum, die Befindlichkeiten abzuholen und für die Bevölkerung da zu sein. Es ist nicht alles möglich, aber so gut es geht, möchte man etwas verbessern. Wenn man Freude an Neuem hat, offen ist für Menschen und ihre Anliegen, dann ist es sicher das Richtige.
Mit welchen Adjektiven könnt ihr den aktuellen Gemeinderat beschreiben?
Konstruktiv, organisiert, arbeitsam, wohlwollend, so objektiv wie möglich, offen für Neues, ausgeglichen, sachlich, manchmal emotional, eine gute Mischung!
«Vielfalt in der Politik» bedankt sich herzlich für das Gespräch!
11. Mai 2022
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Interview: Andrea Hoch
Fotos: Ingrid Delacher