Im März 2023 finden die nächsten Gemeindewahlen statt. In einer Serie stellt «Vielfalt in der Politik» die Gemeinderatsarbeit in den einzelnen Gemeinden vor. Wir haben alle Gemeinderätinnen gebeten, ein Projekt aus ihrer Legislatur genauer vorzustellen.
In Schaan führten wir das Gespräch mit den Gemeinderätinnen Gabriela Hilti-Saleem, Alexandra Konrad-Biedermann (Vizevorsteherin), Caroline Riegler-Rüdisser und Melanie Vonbun-Frommelt. Beim ausgewählten Projekt handelt es sich um das Freiraumkonzept, besser bekannt als «Schaan grünt».
Interview mit den Gemeinderätinnen der Gemeinde Schaan
Welches Projekt stellt ihr uns heute vor?
Caroline Riegler-Rüdisser: Wir möchten das Projekt «Freiraumkonzept» oder «Schaan grünt» vorstellen. Es begann vor etwa drei Jahren mit einer externen Studie, in der wir den Hitzeeffekt im Dorf untersucht haben. Wir hatten in den letzten Jahren sehr viel Bautätigkeit im Dorfzentrum. Die vielen Neubauten gingen einher mit immer mehr versiegelten Oberflächen. Das hat dazu geführt, dass es im Sommer sehr heiss wird. Die Studie hat ergeben, dass es im Dorf viel Potenzial gäbe, um der Hitze entgegenzuwirken.
Das Ganze wurde unter dem Begriff «Freiraumkonzept» weiterentwickelt. Darin sind verschiedene Projekte enthalten. Beispielsweise sieht man, wenn man nach Schaan hineinfährt, auf beiden Strassenseiten Bäume, Rabatten und Grünflächen. Auch im Dorfzentrum entstehen grosse Grünflächen. Damit wollen wir die Luftqualität verbessern, das Klima verbessern und dem Dorf nach der ganzen Bautätigkeit etwas zurückgeben.
Alexandra Konrad-Biedermann: Wichtig ist vor allem, dass wir die Hitze reduzieren. Mit dem Klimawandel werden die Temperaturen weiter steigen. Meteo Schweiz hat vor Kurzem prognostiziert, dass es bis Mitte dieses Jahrhunderts nicht nur alle zehn Jahre einen Hitzesommer gibt, sondern dass jeder Sommer so heiss sein wird. Dem kann man im Dorf mit anderen Belägen auf den versiegelten Oberflächen entgegenwirken.
In der Studie, die der Gemeinderat in Auftrag gegeben hat, wurde die Temperatur im Dorfzentrum gemessen. Der blaue Belag beim Busbahnhof beispielsweise hatte 42 Grad, beim Lindahof wurden fast 50 Grad gemessen. Das hatte man sich vorher zu wenig überlegt. Man wollte einfach alles «sauber» machen und hat die Natur zurückgedrängt.
Gabriela Hilti-Saleem: Die neuen Grünflächen, die angelegt werden, sind nicht nur wegen des Hitzeeffekts gut, sondern fördern auch die Biodiversität. Durch Blumenrabatten, Steinhaufen und Kleintierhotels schaffen wir neuen Lebensraum für Insekten, Reptilien und andere Kleintiere. Die Biodiversität ist unglaublich wichtig für unsere Umwelt und für unser weiteres Bestehen.
Melanie Vonbun-Frommelt: Wenn ich von der Rheinbrücke nach Schaan hineinfahre, freue ich mich, wie schön das geworden ist. Erst jetzt merke ich, wie sehr die Bäume vorher gefehlt haben. Dasselbe gilt für das Dorfzentrum.
Alexandra Konrad-Biedermann: Wir werden allerdings auch darauf angesprochen. Letzte Woche am Wochenmarkt hat man zu mir gesagt: «Jetzt habt ihr erst gerade die Strasse und Trottoirs gemacht, jetzt reisst ihr sie schon wieder auf.» Es ist nicht für alle nachvollziehbar, wieso auf den neuen Trottoirs bereits wieder Baustellen sind.
Melanie Vonbun-Frommelt: Ich finde es aber wichtig, dass man zu Fehlentscheidungen steht und offen sagt, dass es anders besser wäre.
Uns interessieren auch die Abläufe im Gemeinderat. Könnt ihr uns genauer schildern, wie dieses Freiraumkonzept entstanden ist?
Caroline Riegler-Rüdisser: Das war ein Prozess, der vom ersten Berührungspunkt bis heute etwa drei bis vier Jahren gedauert hat. Nach der Studie wurde ein Landschaftsarchitekt damit beauftragt, ein Projekt auszuarbeiten. Daraus entstand eine grobe Konzeptplanung, die später in einzelne Projekte aufgegliedert wurde. Für jedes einzelne Projekt mussten wir im Gemeinderat einen Finanzbeschluss fällen. Hier haben wir Prioritäten gesetzt. Was ist das Wichtigste? Was gehen wir zuerst an? Wir sind noch länger nicht fertig. Vielleicht wird es nie fertig sein.
Gabriela Hilti-Saleem: «Schaan grünt» ist das, was bei den Menschen in den Köpfen ist bzw. wo Emotionalität drinsteckt. Vom dahinterstehenden Freiraum-Entwicklungskonzept haben wir schon viel umgesetzt. Im Industriegebiet beispielsweise haben wir zwei Wassergräben renaturiert und einen schönen Holzweg gebaut. Es gibt dort auch einen kleinen Park, in dem Arbeiter am Mittag ausruhen oder spazieren können. Auch an die Radfahrer wurde gedacht. Es ist ein toller Erholungsraum geworden.
Alexandra Konrad-Biedermann: Mittlerweile sprechen wir von «Schaan grün-blau», weil wir auch Gräben renaturiert und Brunnen gebaut haben. Wasser ist genauso wichtig für die Klima-Regulierung, also damit die Temperaturen wieder runtergehen.
Die Biodiversität hat in Schaan einen höheren Stellenwert erhalten. Gab es eine treibende Kraft dahinter?
Alexandra Konrad-Biedermann: Das Bewusstsein ist jetzt vorhanden. Die Bevölkerung hat sich verändert. Man hat gemerkt, dass das Klima und die Biodiversität wichtiger werden. Als ich vor sieben Jahren begonnen habe, war «Schaan grünt» noch überhaupt kein Thema. Jetzt gehört es dazu.
Gabriela Hilti-Saleem: Ein Impuls kam sicher auch von den Bewohnerinnen und Bewohnern, die gefragt haben, wieso wir das Schaaner Zentrum so zubetonieren. Aufgrund solcher oder ähnlicher Anstösse haben wir angefangen zu überlegen, wie wir diese Situation positiv verändern und wieder mehr Natur ins Zentrum bringen können.
Caroline Riegler-Rüdisser: Der Gemeinderat vertritt die Bevölkerung und ist sozusagen deren Spiegelbild. Man sieht es rundherum. Die ganze Gesellschaft geht viel bewusster mit der Umwelt und unseren Ressourcen um. Es gab nicht einen Anstoss, sondern es war das Resultat des gesellschaftlichen Umdenkens.
Für die Fotoaufnahmen gehen wir nachher zum Rheindenkmal eingangs von Schaan. Was könnt ihr uns zu diesem Ort sagen?
Melanie Vonbun-Frommelt: Das Rheindenkmal erinnert an die letzte grosse Rheinkatastrophe im Jahre 1927. Lange Zeit stand es etwas trostlos da. Es war uns ein Anliegen, dass es wieder eine grössere Bedeutung erhält. Am jetzigen Standort konnten wir das sehr gut mit dem Freiraumkonzept kombinieren.
Nun wollen wir allgemein über eure Zeit im Gemeinderat sprechen. Wie gefällt euch die politische Arbeit?
Caroline Riegler-Rüdisser: Als ich vor sieben Jahren in den Gemeinderat kam, hatte ich keine Ahnung, was auf mich zukommt. Ich fand, das töne extrem spannend. Da ich gerne neue Herausforderungen habe, habe ich es damals einfach probiert. Ich war dann überrascht, wie vielseitig diese Aufgabe ist. Ich habe mich plötzlich mit Themen auseinandergesetzt, die ich vorher nicht kannte. Das Schöne ist auch, dass es eine Arbeit ist, deren Auswirkungen direkt sichtbar und spürbar sind. Wir sehen, was wir mitbeeinflusst haben. Dass man so nahe dran ist, finde ich spannend.
Alexandra Konrad-Biedermann: Das gilt besonders für die Kommissionen. Wir Frauen haben alle einen Vorsitz in einer Kommission inne. Dort lassen sich Ideen sehr schnell und einfach einbringen und umsetzen. Die Gemeindeverwaltung unterstützt uns immer dabei. Das ist vermutlich einmalig.
Gabriela Hilti-Saleem: Die Verwaltung ist wirklich grossartig. Die Anträge, die wir erhalten, sind sehr fundiert. Auf dieser Grundlage können wir uns informieren und die Diskussion führen. Ich schätze die gute Diskussionskultur im Gemeinderat. Man hört sich gegenseitig zu, jeder kann seine Meinung äussern. Man muss auch nicht mit allem einverstanden sein.
Melanie Vonbun-Frommelt: Zu Beginn fühlte ich mich wie in einer Weiterbildung. Obwohl man nicht mehr 20 Jahre alt ist und eine gewisse Lebenserfahrung mitbringt, erlebt man viele Dinge neu oder betrachtet sie von einer anderen Seite. In viele Themen sieht man tiefer hinein. Man kann selbst viel miteinbringen. Das finde ich sehr schön.
Ihr zeigt viel Freude an der Kommissionsarbeit. Was ist das Besondere daran?
Caroline Riegler-Rüdisser: Im Gemeinderat erhältst du in der Regel vorbereitete Anträge aus der Verwaltung oder vom Vorsteher. In den Kommissionen sind nicht immer gleich Anträge und Beschlüsse nötig. Es ist viel niederschwelliger. Projekte und Ideen können relativ einfach direkt umgesetzt werden. Wenn es viel Geld kostet, braucht es einen Gemeinderatsbeschluss. Aber wir haben in unseren Kommissionen auch eigene finanzielle Kompetenzen und können kleinere Sachen bis zu dieser Grenze gemeinsam mit unseren Kommissionsmitgliedern selbst entscheiden.
Gabriela Hilti-Saleem: In meiner Kommission hat das Thema Biodiversität aktuell Vorrang. Wir organisieren Aktionen wie den Biodiversitätstag oder die «Umweltpotzete». Solche Veranstaltungen geben uns die Möglichkeit, uns mit der Bevölkerung auszutauschen und sie zu sensibilisieren, wie wir behutsamer mit der Umwelt umgehen können. Wenn wir jedoch grössere Ideen umsetzen möchten, dann müssen wir natürlich ein Konzept erarbeiten und dieses dem Gemeinderat vorlegen.
Gibt es auch weniger Positives? Sachen, die euch stören an der Gemeinderatsarbeit?
Melanie Vonbun-Frommelt: Es ist zeitintensiv. Wenn jemand sagt, das mache man so schnell schnell, dann wäre das nicht richtig. Nicht das Lesen der Unterlagen ist aufwändig, sondern die zahlreichen Termine, die koordiniert werden müssen. Vor allem wenn man daneben noch arbeitet und Familie hat. Es hängt auch von der Kommission ab. Die einen gehen mit einer grossen Anwesenheitspflicht einher, die anderen weniger. Ich gebe diese Zeit gerne, aber es braucht eine Familie, die dahintersteht.
Caroline Riegler-Rüdisser: Der Aufwand hängt vom Qualitätsanspruch ab. Wir haben alle einen hohen Anspruch an uns selbst. Der Zeitaufwand ist nicht immer gleich, es gibt strenge und weniger strenge Phasen.
Alexandra Konrad-Biedermann: Die öffentlichen Anlässe kommen auch noch dazu. Von jetzt bis zu den Sommerferien könnten wir vermutlich jedes Wochenende zwei Veranstaltungen besuchen. In einer grossen Gemeinde wie Schaan ist immer viel los. Wir sind auch alle – der ganze Gemeinderat – bei den Anlässen dabei. Wir haben es einfach gut untereinander und sind gerne in Kontakt mit der Bevölkerung.
Caroline Riegler-Rüdisser: Ich fand die letzten zwei Jahre während der Corona-Pandemie sehr schwierig. Von 100 Prozent mussten wir auf 0 Prozent herunterfahren. Plötzlich bekamen wir Anträge zur Unterstützung unserer Wirtschaft. Da wir nahe an der Wirtschaft dran sind, haben wir deren Sorgen gespürt. Wenn schwierige Situationen an den Gemeinderat herangetragen werden, suchen wir nach Lösungen. Wir müssen darauf achten, alle Anspruchsgruppen gleich zu behandeln und für Transparenz zu sorgen. Aber wenn es irgendwie geht, möchte man helfen.
In der Corona-Pandemie habe ich auch gemerkt, wie wichtig das Soziale für den Gemeinderat ist. Wir gehen normalerweise nach jeder Gemeinderatssitzung gemeinsam ins «Rössle». Meist sind die Gemeinderäte aller Parteien mit dabei. Im Gemeinderat wird stets sachlich diskutiert, was aber nachher im «Rössle» kein Thema mehr ist. Wir geniessen dann das gemütliche Zusammensitzen, egal was vorher war. Neben dem Gemeinderatszimmer muss man sich einmal austauschen und Spass haben können. Das ist weggefallen, und in meiner Wahrnehmung hat man das in den Diskussionen gespürt.
Melanie Vonbun-Frommelt: Was ich gelernt habe und was für Neueinsteiger und Neueinsteigerinnen wichtig zu wissen ist: Man muss sich getrauen, nachzufragen. Ich frage viel, wenn ich etwas nicht verstehe oder mir etwas nicht logisch erscheint.
Alexandra Konrad-Biedermann: Wichtig ist auch, am Thema dranzubleiben. Manchmal wird man fast lästig, wenn man immer mit demselben Thema kommt, aber man muss hartnäckig bleiben, wenn man etwas erreichen will.
Unsere traditionelle Schlussfrage: Mit welchen Adjektiven könnt ihr den aktuellen Gemeinderat beschreiben?
Offen, konstruktiv, kreativ, kollegial, fair, lustig, gesellig, heterogen in den Kompetenzen
«Vielfalt in der Politik» bedankt sich herzlich für das Gespräch!
27. April 2022
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Interview: Andrea Hoch
Fotos: Ingrid Delacher
Video: Julia Hoch