Im März 2023 finden die nächsten Gemeindewahlen statt. In einer Serie stellt «Vielfalt in der Politik» die Gemeinderatsarbeit in den einzelnen Gemeinden vor. Wir haben alle Gemeinderätinnen gebeten, ein Projekt aus ihrer Legislatur genauer vorzustellen.
In Triesenberg führten wir das Gespräch mit den Gemeinderätinnen Alexandra Roth-Schädler, Gertrud Vogt, Corina Vogt-Beck und Barbara Welte-Beck. Beim ausgewählten Projekt handelt es sich um die Zukunftsgestaltung des Berggasthauses Sücka.
Interview mit den Gemeinderätinnen der Gemeinde Triesenberg
Erzählt bitte, um was es bei eurem Projekt «Sücka» geht.
Alexandra Roth-Schädler: Ganz am Anfang der Legislatur wurde uns im Gemeinderat eine private Idee unterbreitet. Es ging dabei um die so genannte «Riitgeisshütta», ein neues Gebäude auf dem Grat oberhalb der Sücka, welches mit einer Seilbahn hätte erreicht werden sollen. In den Medien wurde darüber berichtet. Das Projekt wurde von den Initianten später nicht mehr weiterverfolgt. Im Gemeinderat nahmen wir das jedoch zum Anlass, um allgemein über das Alpengebiet, den Steg und die Sücka zu sprechen. Für die Zukunft des Berggasthauses Sücka haben wir eigens eine Arbeitsgruppe gebildet.
Corina Vogt-Beck: Das Leitbild für den Steg wurde kurz vor unserer Legislatur verabschiedet. Darin ist festgehalten, dass das Gebiet erhaltenswert ist und grundsätzlich so belassen werden soll, wie es ist. Von einem grösseren touristischen Ausbau wollte man absehen. Das war die Grundlage.
In den letzten dreieinhalb Jahren kamen immer wieder Themen vor den Gemeinderat, welche den Steg oder die Sücka betrafen. Zum einen gab es einen Pächterwechsel und zum anderen mussten bauliche Massnahmen getroffen werden. Wir fragten uns, ob es Sinn macht, die Sücka in der jetzigen Form weiterzuführen.
Gertrud Vogt: Die Sücka ist mit Herzblut und Emotionen verbunden. Sie gehört zum Triesenberg! Ich frage mich aber, warum wir immer so unglaublich viel Geld in alte, baufällige Häuser stecken müssen. Obwohl wir schon viel Geld in die Sücka investiert haben, haben wir im Moment nicht das, was wir uns erhofft hatten. Der obere Teil des Gebäudes ist baufällig und sanierungsbedürftig. Er kann gar nicht benutzt werden.
Das Gebäude ist vor allem für die ältere Generation, die als Kinder viel oben waren und ihr Vieh dort hatten, von Bedeutung. Ihr Leben hat sich früher dort abgespielt. Jetzt kommen aber Jüngere nach, die weniger Bezug zur Sücka haben. Der Gemeinderat ist dafür da, in die Zukunft zu schauen. Darum bin ich dagegen, viel Geld in alte Gebäude zu stecken und am Schluss hat man nichts Richtiges. Die Sücka möchte ich auf jeden Fall erhalten, aber nicht das Gebäude.
Barbara Welte-Beck: Es ist wirklich ein schwieriges, emotionales Thema. Die Sücka hat eine lange Geschichte. Sie war das erste Kurhaus im Triesenberg. Die Gastwirtschaft ist den Leuten wichtig. Aber wenn wir nichts machen, läuft es auch nicht weiter wie bisher. Dann wird es immer schwieriger, Pächter zu finden.
Alexandra Roth-Schädler: Die Leute haben sich verändert. Vor 100 Jahren war es ein Kurhaus, in dem man sich wochenlang aufhielt. Als ich Kind war, wurde es wieder anders genutzt. Ich habe viele Erinnerungen, ich glaube das geht uns allen so. Wir hatten Schulausflüge, Lager oder gingen zum Rodeln.
Man hat viele Jahre lang immer nur das Notwendigste gemacht. Das was augenfällig oder aufgrund der Statik notwendig war. Die Arbeitsgruppe wurde gebildet, um sich vertieft damit auseinanderzusetzen, wie es in Zukunft weitergehen könnte. Die Sücka liegt im Triesenberg allen am Herzen. Ziel ist es, sie in die Zukunft zu führen. Vielleicht aber in einer neuen Form.
Abgesehen vom emotionalen Bezug, welches Potential seht ihr in der Nutzung der Sücka als Naherholungsgebiet oder für den Tourismus?
Gertrud Vogt: Man muss nur an das alte Tunnel denken. Das war früher der Knotenpunkt, um ins Alpengebiet zu gelangen. Es gab keinen anderen Weg ins Malbun als durchs alte Tunnel. Diese Lage ist wahnsinnig. Wenn du aus dem Tunnel herauskommst, eröffnet sich dir eine andere Welt! Du siehst zum Steg und nach Österreich hinunter. Auf der anderen Seite dasselbe, du hast das ganze Rheintal vor dir.
Barbara Welte-Beck: Ich denke, dass es je länger je mehr touristisches Potential hätte. Gerade jetzt nach der Coronakrise habe ich das Gefühl, dass es sich gut vermarkten liesse. Viele Leute sind in der Natur unterwegs und haben diese wiederentdeckt. Auch das Weitwandern ist im Trend. Aber man muss die richtige Idee haben und das Lokal muss passen.
Alexandra Roth-Schädler: Der Standpunkt ist sehr gut. Die Sücka ist zu Fuss, mit dem Velo oder mit dem E-Bike gut zu erreichen. Es ist unser Ziel, die Sücka wieder mit Leben zu füllen. Es wäre denkbar, dass es mehrere Standbeine gibt.
Corina Vogt-Beck: Das ist die Aufgabe der Arbeitsgruppe, neue Nutzungsmöglichkeiten zu prüfen. Je nachdem, was für Kooperationen oder Ideen man verfolgt, kann man darüber entscheiden, was mit dem Gebäude geschieht. Ganz am Anfang besichtigten wir das «Center da Capricorns», ein ähnliches Haus in Graubünden. Sie arbeiten mit einer Stiftung und mit der Hochschule ZHAW zusammen. Neben einem Hotel und einem Restaurant gibt es dort auch Arbeitsplätze und Räume für Workshops und Schulungen.
Der geplante Naturpark «Rätikon» war ursprünglich auch Teil der Überlegungen. Das Saminatal hätte dort dazugehört. Wir haben überlegt, ob die Geschäftsstelle des Naturparks auf der Sücka angesiedelt werden könnte. Die Schweizer haben das Projekt an der Urne leider abgelehnt.
Nun möchten wir allgemein über die Gemeinderatsarbeit sprechen. Wie gefällt es euch?
Barbara Welte-Beck: Mir gefällt es durchs Band gut. Es ist sehr interessant und vielseitig, aber auch «Bau-lastig». Wir Frauen sind hier vielleicht etwas im Nachteil, weil wir berufsbedingt weniger mit dem in Berührung kommen als die Männer. Aber es hilft, wenn man an Besichtigungen zu Themen wie beispielsweise Wasser oder Abwasser teilnehmen kann. Man sieht dahinter und kann besser entscheiden.
Die Kommissionsarbeit ist das, wo du am meisten bewirken kannst. Hier kannst du etwas auf die Beine stellen und dich für die Bevölkerung einsetzen. Aber es lässt sich nicht alles so einfach umsetzen. Mit dem öffentlichen Auftragswesen mahlen die Mühlen langsam. Das war für mich am Anfang ernüchternd, da musste ich mich erst daran gewöhnen.
Gertrud Vogt: Ich finde die ganze Arbeit im Gemeinderat interessant. Viel interessanter, als ich gedacht hatte! Aber mir geht es so wie Barbara. Du willst eine Idee umsetzen, aber es dauert ewig! Es bleibt ein oder eineinhalb Jahre in den Ämtern hängen und währenddessen passiert null und nichts. Man brächte viel mehr zustande, wenn nicht alles so kompliziert wäre. Die Bürokratie ist mühsam. Sonst gefällt es mir sehr gut.
Zwischen den drei Parteien läuft es gut. Man ist sich nicht immer einig, aber im Grossen und Ganzen werfen wir uns keine Prügel zwischen die Beine. Es ist schön zu sehen, dass man mehr zustande bringt, wenn man gemeinsam an einem Projekt arbeitet.
Alexandra Roth-Schädler: Die Arbeit im Gemeinderat bringt einem persönlich weiter. Man lernt neue Menschen kennen und bekommt Einblicke in das Gemeindewesen, die man nicht hätte, wenn man nicht im Gemeinderat wäre. Vor allem am Anfang der Legislatur kamen viele Leute zu uns in die Sitzungen und informierten uns über die verschiedenen Themen.
Vor Kurzem schauten wir uns das Abwasserwerk an. Ich hatte mich davor noch nie damit befasst. Man sieht, wie das Wasser daheim den Schacht hinunter rinnt und weiss eigentlich nicht, wohin es geht. Wir haben verschiedene Werke und die grosse Zentrale in Vaduz angeschaut. Es war sehr interessant zu sehen, wie alles zusammenspielt. Sehr komplex, sehr eindrücklich!
Barbara Welte-Beck: Es muss auch in die Familie und in das eigene Leben hineinpassen. Ich hätte es mir vorher, als die Kinder kleiner waren, nicht vorstellen können. Fünf oder zehn Jahre früher wäre es für mich nicht gegangen. Der Zeitpunkt muss passen.
Gertrud Vogt: Das tönt jetzt etwas altmodisch, aber ich hätte es mir auch nicht vorstellen können, mit kleinen Kindern so ein Amt auszuüben. Das wäre mir zu kompliziert gewesen. Vermutlich wäre es mir über den Kopf gewachsen. Du möchtest alles perfekt machen, auch die Politik willst du gut machen, wenn du dabei bist. Für mich passt jetzt der Zeitpunkt. Die Kinder sind erwachsen, und ich kann mich auf das konzentrieren. Es ist eine schöne Arbeit!
Corina Vogt-Beck: Bei vielem kann ich zustimmen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass mir die Arbeit so gut gefällt! Es ist spannend, den Blick hinter die Kulissen zu erhalten. Wenn du interessiert und neugierig bist, ist es wirklich schön. Du merkst mit der Zeit, wo deine Stärken und Interessen liegen. Wir sind auch eine gute Gruppe, menschlich und anständig. Es ist eine Lebensschule: Du lernst Menschen, Themen und auch dich selbst kennen. Du lernst zu organisieren, reden, argumentieren und die eigene Haltung zu vertreten.
Man kann in die Arbeit hineinwachsen. Die Gemeindeverwaltung und der Vorsteher haben besonders Wert daraufgelegt, dass wir gleich am Anfang viele Informationen und Einblicke in die verschiedenen Themenbereiche erhalten. Wir haben auch Besichtigungen gemacht. Ich glaube, das war gut, da wir viele jüngere und neue Mitglieder hatten. Es können alle wagen, das auszuprobieren. Man vergibt sich nichts.
Ihr sagt, die Sücka sei ein emotionales Thema. Wird man im Triesenberg häufig von der Bevölkerung angesprochen, wenn es sich um «heisse Eisen» handelt?
Gertrud Vogt: Es hängt davon ab, wo du dich bewegst. Wenn du im Tal unten arbeitest, dann hörst du nicht viel. Aber wenn du viel in der Gemeinde unterwegs bist, wirst du schon darauf angesprochen. Dann muss man zu seiner Meinung stehen und seine Argumente parat haben. Ich stimme so ab, wie ich denke, es sei für die Weiterentwicklung der Gemeinde wichtig. Das sind meine Argumente, wenn mich die Leute fragen.
Es braucht schon etwas Mut, nach einem wichtigen Gemeinderatsbeschluss in ein Geschäft oder eine Beiz zu gehen. Da wird man oft darauf angesprochen. Bei zu grosser Kritik frage ich nach, ob diese Person sich schon einmal für ein öffentliches Amt zur Verfügung gestellt hat. Wenn nicht, empfehle ich ihr oder ihm, sich bei den nächsten Wahlen aufstellen zu lassen. Wir sind eine politische Familie, die immer am Küchentisch politisiert. Auch dort sind nicht immer alle gleicher Meinung. Das ist manchmal hart. Aber gleichzeitig gefällt mir das auch. Ich kann mich gut abgrenzen.
Alexandra Roth-Schädler: Es ist immer ein demokratischer Entscheid im Gemeinderat. Wir sind eine Gruppe von Leuten mit unterschiedlichen familiären und beruflichen Hintergründen und Meinungen. Wir bilden trotzdem eine homogene Gruppe. Wir hören einander zu und respektieren uns. Es gibt keine Streitereien. Davor hatte ich vorher den grössten Respekt.
Corina Vogt-Beck: Ich bin bis jetzt immer gerne in die Gemeinderats- und Kommissionssitzungen gegangen bin. Ich freue mich darauf, weil mich die Sachen interessieren. Wenn ich irgendwo nicht die Mehrheitsmeinung vertrete, dann weiss ich vorher schon, dass ich intensiv debattieren und dagegen stimmen muss. Es ist nichts schwarz oder weiss, bei jeder Entscheidung gibt es Punkte, die dafür und dagegen sprechen. Aber es ist ein gutes Zeichen, wenn man immer gerne hingeht.
Wie beschreibt ihr den aktuellen Gemeinderat?
Ausgewogen, impulsiv, vielseitig, produktiv, unterschiedlich, menschlich, lustig, mutig, konstruktiv, lösungsorientiert, professionell.
«Vielfalt in der Politik» bedankt sich herzlich für das Gespräch!
13. Mai 2022
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Interview: Andrea Hoch
Fotos: Ingrid Delacher
Video: Julia Hoch