Im März 2023 finden die nächsten Gemeindewahlen statt. In einer Serie stellt «Vielfalt in der Politik» die Gemeinderatsarbeit in den einzelnen Gemeinden vor. Wir haben alle Gemeinderätinnen gebeten, ein Projekt aus ihrer Legislatur genauer vorzustellen.
In Vaduz führten wir das Gespräch mit den Gemeinderätinnen Stefanie Hasler, Petra Miescher, Antje Moser (Vize-Bürgermeisterin), Daniela Ospelt, Ruth Ospelt-Niepelt, Priska Risch-Amann und Natascha Söldi. Beim ausgewählten Projekt handelt es sich um das «Vadozner Huus».
Interview mit den Gemeinderätinnen der Gemeinde Vaduz
Welches Projekt stellt ihr uns vor? Wieso habt ihr genau dieses ausgewählt?
Natascha Söldi: Das «Vadozner Huus» ist ein offenes Haus für die Menschen in Vaduz. Im Gemeinschaftsraum kann man sich an den grossen Tisch setzen, erzählen, spielen und es sich gemütlich machen. Auch Veranstaltungen können dort stattfinden. Im oberen Stock gibt es Räume, die man buchen kann, um zu lernen, zu arbeiten, zu malen, Sitzungen abzuhalten oder Kurse anzubieten. Die Räume sind für die in Vaduz wohnhafte Bevölkerung und für Vaduzer Vereine kostenfrei. Es soll ein Ort sein, an dem die Menschen zusammenkommen, sich einbringen und ihre eigenen Ideen umsetzen.
Wir haben dieses Projekt ausgewählt, weil es ein schönes Beispiel dafür ist, wie man etwas mit vergleichsweise wenig Aufwand und Budget umsetzen kann. Es ging auch sehr schnell. Normalerweise dauert es in der Gemeinde etwas länger. Die Arbeitsgruppe startete im Jahr 2020, dann folgte der Umbau und Ende 2021 war bereits die Eröffnung. Da vorerst nur eine temporäre Nutzung vorgesehen ist, erfolgte lediglich eine sanfte Sanierung.
Antje Moser: Die Idee entwickelte sich aus dem Base Camp vom September 2019 heraus. Jeden Tag gab es Veranstaltungen, und an einer Pinwand konnten die Besucherinnen und Besucher eigene Ideen aufschreiben. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass die Leute sich einen Raum wünschen, an dem sie sich ohne Konsumationszwang treffen können. Ein offenes Haus, bei dem alle Altersklassen ein- und ausgehen. Das war durchs Band der Wunsch der Leute. Diese sind jetzt auch dankbar und freuen sich.
Was bedeutet dieses Projekt für euch?
Daniela Ospelt: Es ist schön, weil es etwas Konkretes ist, das man sieht und wo man hineingehen kann. Es gibt andere Themen, wie zum Beispiel bei mir in der Nachhaltigkeitskommission, die etwas abstrakt sind. Am Anfang wussten jedoch viele nicht, um was es geht, und es war auch etwas schwierig zu erklären.
Ruth Ospelt-Niepelt: Vielleicht, weil es etwas wirklich Neues ist. Es ist nicht so fassbar wie sonstige Sachen, die es einfach braucht, wie zum Beispiel eine Wasserversorgung oder ein Schulzimmer. Ich hatte am Anfang selbst keine grosse Vorstellung davon, was hier passiert. Überraschend ist für mich, dass man es wirklich selbst laufen lassen kann. Es ist spannend, zu sehen, wie es sich entwickelt. Das Gebäude war sicher ein Glücksfall.
Stefanie Hasler: Es bestand der Wunsch nach einem Ort, an dem das Engagement der Menschen in der Gemeinde aufgefangen wird, ohne dass konkrete Angebote gemacht werden. Es geht um die Partizipation. Wenn jemand Lust hat, sich zu engagieren, dann findet er hier einen Ort und den geeigneten Nährboden dafür. Die Menschen können ihre eigenen Ideen umsetzen. Die Gemeinde ist nur zur Unterstützung da.
Natascha Söldi: Es ist ein ganz neuer Ansatz. Wir verwenden das Beispiel der grünen Wiese, auf der die Pflänzchen wachsen können. Es muss sich entwickeln, und die Leute müssen sich erst daran gewöhnen. Die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner sind manchmal etwas zögerlich. Wenn sie kommen und sehen, dass schon jemand da ist, gehen sie wieder. Schön finde ich, dass verschiedene Gruppierungen anzutreffen sind. Es kommen Teenager, Mütter mit ihren Kindern und ältere Personen. Es ist spannend, dass es so vielseitig ist und Leute zusammenbringt.
Verlief der Prozess reibungslos oder gab es Widerstand?
Petra Miescher: Die Sinnhaftigkeit oder das Vorhandensein eines Bedürfnisses musste zu Beginn erklärt werden. Es brauchte auch ein wenig Mut, um etwas einfach laufen zu lassen, ohne zu wissen, wie es ankommt. Es gab kritische Fragen: Kommen die Leute? Wird es genutzt? Es gab auch Stimmen, die meinten, wir könnten mit diesem Gebäude etwas Sinnvolleres anfangen. Schliesslich haben aber alle zugestimmt. Widerstand gab es keinen.
Natascha Söldi: Wir sind sogar unter dem Budget geblieben. Auch das spricht für sich!
Stefanie Hasler: Das Haus ist bewusst einfach gehalten. Ich glaube, auch das war ein Novum. Es ist ein altes Gebäude, das wir nur minimal renoviert haben. Es ist speziell, dass man einem Projekt Vertrauen schenkt, welches noch nicht konkret oder fixfertig ist. Ähnlich einem Experiment im Labor. Ich finde es wichtig, dass sich eine Gemeinde auch für so etwas ausspricht. Es ist ein Bekenntnis zu etwas, das nicht perfekt ist. Ich finde das ein schönes Zeichen an diesem Ort, der sonst so perfekt und «geschniegelt» daherkommt.
Ruth Ospelt-Niepelt: Das ist vielleicht auch ein Trend. Wenn wir hinausschauen zum Sommertreff beim Rathausplatz, dann ergänzen sich diese zwei Projekte. Dort haben wir auch mit einfachen Mitteln etwas realisiert. Es wurde ein Erfolg und entwickelt sich von Jahr zu Jahr weiter. Ich finde, es gibt Vaduz ein anderes Flair.
Daniela Ospelt: Die Niederschwelligkeit ist ein Thema. Die Leute dürfen keine Hemmungen haben, hineinzugehen. Wenn es zu «overdressed und overstyled» ist, getraut sich niemand hineinzugehen. Ich empfinde das «Vadozner Huus» als sehr niederschwellig. So soll es auch sein. Ich denke, das ist gelungen.
Damit kommen wir zur Frage, wie es euch im Gemeinderat geht. Wie gefällt es euch?
Antje Moser: Die Politik, diese Erfahrung musst du einfach einmal gemacht haben! Es ist lehrreich und persönlichkeitsbildend. Du setzt dich mit Themen auseinander, mit denen du sonst nie in Berührung gekommen wärst. Du musst dich einlesen und hörst in der Sitzung die Meinung der anderen. Dadurch entwickelt man sich ständig weiter. Die Kollegialität untereinander ist mir sehr wichtig!
Daniela Ospelt: Mir gefällt, dass wir in der Fraktion und im Gemeinderat einen guten Zusammenhalt haben. Wir machen auch öfter etwas zusammen. Der harte Kern geht nach den Sitzungen immer etwas trinken. Es gibt manchmal Diskussionen im Gemeinderat, die kontrovers sind. Aber das gehört in der Politik dazu. Man kann nicht immer gleicher Meinung sein. Aber nachher geht man hinaus und lässt es im Raum. Das ist für mich wichtig, und ich finde es schön, dass es gelingt.
Priska Risch-Amann: Was mir am Gemeinderat gefällt, sind die unterschiedlichen Themen. Man kann nicht nur mitarbeiten, sondern auch mitentscheiden! Das «Miteinander» ist mir ebenfalls wichtig. Ich gehöre auch zu denen, die nach der Gemeinderatssitzung zusammen etwas trinken gehen. Damit findet man auf der persönlichen Ebene wieder zueinander. Als Personen schätzen wir uns enorm und arbeiten gut zusammen. Wir können auch gut damit umgehen, dass wir manchmal nicht gleicher Meinung sind.
Natascha Söldi: Ich finde es eine sehr spannende, vielseitige Arbeit. Was mir Spass macht ist, dass es Themen aus dem täglichen Leben sind. Die Einwohnerin und Einwohner merken, was im Gemeinderat besprochen wurde. Und auch wir sehen direkt, woran wir gearbeitet haben. Ich finde auch die Inputs der anderen Gemeinderatsmitglieder interessant. Man lernt viel voneinander. Es erweitert den Horizont.
Stefanie Hasler: Ich finde es sehr spannend. Das Zusammenkommen im Gemeinderat ist eigentlich ein recht kleiner Teil der Arbeit. Daneben läuft viel in Arbeitsgruppen oder Kommissionen. Ich empfinde es als Privileg, mit anderen Leuten zusammenarbeiten zu können, die einem in eine neue Welt eintauchen lassen. Wenn man will, kann man sehr schnell sehr viel bewegen. Nicht zuletzt, weil das Geld dazu vorhanden ist. Das sind Voraussetzungen, die man vielerorts nicht hat.
Ruth Ospelt-Niepelt: Ich kann es nur empfehlen! Mir gefällt vor allem die Vielfalt der Menschen im Gemeinderat, in den Kommissionen und von ausserhalb. Ich habe auch ein anderes Verhältnis zur Gemeinde bekommen. Früher hatte ich eine grössere Anspruchshaltung. Jetzt sehe ich dahinter und weiss, was alles dahintersteckt, was alles überlegt wird und wer sich alles einbringt, damit etwas umgesetzt werden kann.
Petra Miescher: Für mich ist es eine wichtige Erfahrung, mich selbst zurücknehmen und die Bedürfnisse der Menschen in der Gemeinde wahrzunehmen. Es ist auf Gemeindeebene relativ einfach, das Ohr bei den Leuten zu haben und etwas einzubringen. Den direkten Kontakt mit den Menschen schätze ich sehr.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich eine Idee nur umsetzen lässt, wenn ich andere dafür begeistern kann. Allein schaffe ich das nicht. Gleichzeitig will ich mich von Ideen der anderen begeistern lassen. Nur so gelingt es, gemeinsam etwas zu realisieren. Dazu muss das Parteidenken wegfallen. Das ist die Kunst. Es macht auch Freude, wenn man es schafft.
Aus den Medien erfährt man manchmal von parteipolitischen Kontroversen. Wenn ich euch richtig verstehe, kommt das aber nicht häufig vor?
Priska Risch-Amann: Ich finde, das ist die absolute Ausnahme. Wir haben in der Regel alle zwei Wochen eine Sitzung und behandeln jeweils 40 Traktanden. In dieser Legislatur hatten wir vielleicht zwei Streitpunkte, die teilweise in den Medien anders dargestellt wurden, als wir es untereinander empfanden.
Daniela Ospelt: Ich habe ab und zu den Eindruck, dass die Medien teilweise eine parteipolitische Sache daraus machen – obwohl es rein sachpolitisch ist! Ich überlege mir deshalb jeweils genau, ob ich Medienanfragen annehme oder nicht.
Wie gross ist die Anspruchshaltung? Wenn ihr einen Antrag ablehnt, kommen Reaktionen?
Antje Moser: Die Gemeinde Vaduz besitzt hohe Reserven. Daher heisst es oft, wir sollen etwas damit machen und schauen, dass es vorwärts geht.
Ruth Ospelt-Niepelt: Ich finde, wir haben eine gute Art, damit umzugehen. Wir haben gewisse Werte entwickelt und stellen Anforderungen an die Antragstellenden. Wir sagen nicht einfach «ja», weil wir das Geld haben, sondern überlegen uns, wie die verschiedenen Aspekte berücksichtigt werden. Wir verlangen manchmal auch, dass ein Konzept angepasst wird. Ich glaube, dazu mussten wir erst einmal den Mut entwickeln.
Wie lange dauert es, bis man hineinfindet und die Abläufe kennt? Auf was muss man achten?
Petra Miescher: Man darf sich nicht scheuen, Fragen zu stellen. Man lernt mit der Zeit, wohin man sich wenden kann, wenn man Auskünfte braucht. Man soll auch nicht das Gefühl haben, als Gemeinderätin wisse man, wo es langgeht. Man muss die Organisation erst kennenlernen. Mit der Zeit hat man den Überblick und erkennt die Zusammenhänge. Das ist ein Prozess.
Ruth Ospelt-Niepelt: Speziell lehrreich ist für mich die Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Sie sind eigentlich die Profis und befassen sich ständig mit den Themen, aber wir sind das entscheidende Gremium. Dieses Zusammenspiel, dieses Austarieren finde ich spannend.
Gibt es Dinge, die ihr schwierig findet?
Ruth Ospelt-Niepelt: Man würde sich gerne mit vielen Fragen vertiefter auseinandersetzen. Es fehlt dafür leider die Zeit und die Energie.
Daniela Ospelt: Die Breite der Themen ist manchmal schon schwierig. Bei 40 Traktanden kann man sich nicht mit allen intensiv auseinandersetzen. Das ist manchmal schade. Vom Anspruch, alles wissen zu müssen, habe ich mich verabschiedet.
Antje Moser: Manchmal stört es mich, dass alles so viel Zeit braucht. Am Anfang dachte ich, ich könnte Ideen schnell umsetzen. Aber dann gehen die Jahre ins Land und du merkst plötzlich, dass du dein Ziel nicht vorwärtsgebracht hast. Aber es gibt auch Projekte, die man abschliessen kann. Das ist dann befriedigend und gut für die Seele.
Priska Risch-Amann: Das Ohr beim Volk zu haben, das ist ein Anspruch, den ich auch habe. Aber letztlich, wenn ich ja oder nein stimme, muss ich für mich eine Entscheidung treffen. Im besten Wissen und Gewissen, dass es für die Bevölkerung von Nutzen ist. Es besteht immer das Risiko, dass es nicht allen passt. Ich glaube aber, wenn du da anfängst darüber nachzudenken, wie andere dazustehen, dann verlierst du dich in den Entscheidungen.
Unsere traditionelle Abschlussfrage: Wie beschreibt ihr den aktuellen Gemeinderat?
Engagiert, motiviert, gesellig, vielfältig, harmonisch, humorvoll, lustig, offen, konstruktiv, wohlwollend, sachlich.
«Vielfalt in der Politik» bedankt sich herzlich für das Gespräch!
18. Mai 2022
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Interview: Andrea Hoch
Fotos: Ingrid Delacher
Video: Julia Hoch