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WENN FRAUEN EINEN REISE TUN

Kommentar in der Beilage «Wirtschaft regional»

Ausgabe vom 25. August 2023


Während wir auf unseren Reisen «Fürstenhütchen» in alle Welt tragen, bringen auch Gäste, die zu uns kommen, gerne etwas Süsses mit. Beim Schreiben dieses Beitrags sitze ich vor einem hübschen Päckchen mit «Orzechy laskowe z kawa» aus Polen. Auf der Rückseite wird verraten, dass es sich dabei um Haselnüsse in Milchschokolade mit Kaffee handelt. Es war das Geschenk einer polnischen Frauendelegation zum Dank für meine Vorstellung des Projekts «Vielfalt in der Politik».


Vertreterinnen verschiedener Frauenorganisationen aus ganz Polen weilten vom 29. bis 30. Juni in Liechtenstein. Der Austausch fand im Rahmen des EWR-Finanzierungsmechanismus statt. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich der gemeinsame finanzielle Beitrag der EWR-/EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein zur Verringerung des wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichts innerhalb Europas.



Für den Studienbesuch in Liechtenstein haben die liechtensteinischen Botschaft in Brüssel und die infra ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt. Zahlreiche Personen aus Verwaltung, Bildung und Zivilgesellschaft gewährten einen Einblick in ihre Arbeit. Als Vertreterin von «Vielfalt in der Politik» sollte ich darüber sprechen, wie Frauen in unserer politischen Landschaft vertreten sind und was wir unternehmen, um den Frauenanteil zu erhöhen.


Schon bei der Vorbereitung meines Vortrags kamen mir Zweifel, ob Liechtenstein wirklich als Vorbild oder Studienobjekt taugt. Der Blick in den internationalen Ländervergleich der Internationalen Parlamentarischen Union IPU ergab, dass Polen bei der Gleichstellung im Parlament mit einem Frauenanteil von 28,3% auf Rang 77 liegt. Liechtenstein landet mit einem aktuellen Frauenanteil im Landtag von 28% knapp dahinter auf Rang 79.



Ein ähnliches Gefühl beschlich mich beim Vortrag von Beat Ospelt vom Liechtenstein-Institut, der einen historischen Rückblick zur Einführung des Frauenwahlrechts in Liechtenstein präsentierte. Am 1. Juli 1984 war es so weit, nach zwei erfolglosen Abstimmungen führte die dritte Abstimmung schliesslich zur Einführung des aktiven und passiven Stimm- und Wahlrechts der Frauen. Gross wurden die Augen der polnischen Gäste, gefolgt von ungläubigem Raunen und Getuschel, als sie hörten, dass in Liechtenstein allein die Männer darüber abgestimmt haben, ob sie den Frauen dieses Recht zugestehen. Ganz anders in Polen, wo das Wahlrecht der Frauen gleichzeitig mit dem der Männer per Dekret eingeführt wurde. Im Jahr 1918.


"Ob die Frauen aus Polen etwas von uns gelernt haben? Ich weiss es nicht."


Eine Parallele findet sich allerdings: auch Liechtensteins Frauen gingen schon auf Reisen. Vor fast genau 40 Jahren, am 27. September 1983, nahmen zwölf Vertreterinnen der Aktion Dornröschen den Zug nach Strasbourg. Beim Europarat machten sie auf das fehlende Frauenwahlrecht aufmerksam und warben um europäische Unterstützung. Eine Fahrt, die viel Mut erforderte und den Frauen nach ihrer Rückkehr heftige Kritik bescherte.


Ob die Frauen aus Polen etwas von uns gelernt haben? Ich weiss es nicht. Ich hoffe aber, dass ihnen der freundschaftliche Austausch mit den Frauenorganisationen und Behörden Liechtensteins sowie die gemeinsam verbrachte Zeit Kraft und Mut gegeben haben. Die aktuelle politische Lage in Polen ist für die Zivilgesellschaft schwierig, viel hängt von den nächsten Regierungs- und Parlamentswahlen im Herbst 2023 ab.



Bei mir hat der Besuch das Interesse am Land Polen geweckt. Er hat mir ausserdem vor Augen geführt, dass der EWR nicht nur ein wirtschaftliches Erfolgsmodell ist, sondern uns auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene miteinander vernetzt. Auch wir als kleines Land können unseren Beitrag zur europäischen Gemeinschaft leisten, andere ermutigen und die gegenseitige Verbundenheit fördern.


Liebe Polinnen, vielen Dank für euren Besuch und für die feine Schokolade. Ich wünsche euch alles Gute!


Andrea Hoch

Projektleiterin «Vielfalt in der Politik»


Den ganzen Beitrag zum Download:

Gastkommentar_AndreaHoch_WirtschaftRegional_25.08.2023
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